Die grünäugige Katze
Es war einmal ein Bauer, der war so arm, dass er nicht genug zu Essen für sich, seine Frau und seine fünf Kinder kaufen konnte. Also beschloss er, alle seine Kühe zu verkaufen. Aber leider kaufte sie ihm niemand ab, weil sie zu mager zum Schlachten waren. Der Bauer machte sich also auf die Suche nach etwas Essbarem. Er klopfte alle am Wege liegenden Gehöfte ab. Aber niemand hatte Mitleid mit ihm, denn sie waren selbst mausarm. Am Abend setzte er sich müde ins Gras am Wegrand und schlief sofort ein.
Im Traum begegnete ihm eine schwarze Katze. Ihre grünen Augen leuchteten im Dunkel der Nacht. Plötzlich begann sie zu sprechen. Sie erzählte ihm von einem Ort, wo es viel zu Essen und auch eine Menge Geld gebe, wovon niemand etwas wisse. Der Bauer wollte noch fragen, wo sich dieser Ort befinde, aber die Katze war schon verschwunden.. Am nächsten Morgen erwachte er sehr früh. Während er ein hartes Stückchen Brot ass, dachte er über seinen Traum nach. „Ach, wenn ich diesen Ort nur finden würde. Dann hätten wir keine Geldprobleme mehr und müssten nicht mehr hungern.“, dachte er.
Als er fertig gegessen hatte, machte er sich wieder auf den Weg. Aber es erging ihm nicht besser als am Tag zuvor. Am abend sass er wieder traurig im Gras. Als er endlich einschlief, träumte er wieder von der grünäugigen Katze. Diesmal verriet sie ihm, wo der Ort zu finden sei. Sobald die ersten Sonnenstrahlen hervorkamen, machte er sich auf die Suche. Er kam an vielen Gehöften vorbei, klopfte aber nirgends an. „Die geben mir ja doch nichts“, dachte er. „Die sind auch nicht besser als die anderen“.
Gegen Abend kam er zu einem Berg, zu dessen Füssen sich ein Wald erstreckte. Da es schon dunkelte, liess er sich am Waldrand nieder. Er beschloss, morgens weiterzusuchen. Nach dem zu urteilen, was ihm die Katze gesagt hatte, musste dieser Ort irgendwo indiesem Wald sein. Kurz bevor er schlafen gehen wollte, rief jemand seinen Namen. Er schaute sich um und erblickte die leuchtend grünen Augen der schwarzen Katze, die ihm zweimal im Traum begegnet war. Sie forderte ihn auf, mit ihr weiterzugehen. Zuerst zögerte er ein bisschen. Als sie aber sagte, dass sie ihm den Ort zeigen wolle, wo sich das viele Geld und die Esswaren befinden, ging er bereitwillig mit.
Sie liefen lange durch den stockfinsteren Wald, bis sie endlich zu einer Ruine kamen. Die Katze erzählte ihm, dass das ihr Zuhause sei, darum kenne sie auch diesen Ort. Bald befanden sie sich zwischen den kalten Mauern der Ruine. Die Katze voraus, er hintendrein, durchquerten sie die ganze Ruine. Diese war viel grösser, als man von aussen erahnen konnte. Spinnen und Eidechsen krochen am Boden umher und den Wänden entlang, Fledermäuse schwirrten ihnen um den Kopf und einige Käuzchen schrien. Mit einem Wort; es war ein unheimlicher Ort und die Katze tat sehr geheimnisvoll.
Schliesslich gelangten sie zu einer Treppe, die in die Erde hineinführte. Sie stiegen die Treppe hinunter und standen vor einer schweren Eisentür. Der Bauer bemerkte, dass es sich um eine Luftschutzkellertür handelte. Die Katze stiess sie auf, und der Bauer erblickte einen Raum. Im Hintergrund befand sich ein massiver Eichenschrank. Der Bauer rätselte zu was er hier unten gedient haben mochte. Er fragte die Katze, ob er ihn einmal öffnen dürfe. Als sie bejahte, öffnete er ihn vorsichtig, denn er war schon leicht morsch. Seine Augen weiteten sich, als er die Esswaren sah, die sich im Schrank häuften. Jetzt begriff er, wozu der Schrank gedient hatte - Als Vorratsschrank!
Plötzlich kam ihm in den Sinn, dass die Katze ihm ja auch noch Geld versprochen hatte. „Und wo ist das Geld?“, fragte er. Die Katze zeigte auf eine Tür, die er vor Aufregung übersehen hatte. Er öffnete sie vorsichtig und gelangte in einen schmalen Gang. Langsam kroch er vorwärts, bis er zu einer zweiten Tür kam. Hinter der Tür führte eine Treppe abwärts. Mühsam kletterte er die steilen Stufen hinunter. Als er endlich unten anlangte, war er so müde, dass er sofort einschlief. Selbst der eiskalte Steinboden hinderte ihn nicht daran.
Als er wieder erwachte, wusste er zuerst gar nicht, wo er war. Aber dann erinnerte er sich wieder an alles. Langsam richtete er sich auf und schaute sich um. Er befand sich in einem sehr hohen, runden Raum, der von oben beleuchtet wurde. Nicht weit von ihm entfernt stand ein tresorartiger Schrank. Der Bauer probierte ihn zu öffnen, weil er hoffte hier das Geld zu finden. Aber der Schrank liess sich nicht öffnen.
Verzweifelt dachte er darüber nach, was er tun könnte. In dem Moment wurde es dunkel. Der Bauer sah hinauf und erblickte den Kopf und die leuchtend grünen Augen der schwarzen Katze. „Na, hast du gut geschlafen?“, fragte die sie ihn. Er bejahte und fragte, wie man den tresorartigen Schrank öffnen könne. Die Katze sagte nur: „Ich komme gleich herunter“. Es dauerte nicht lange, und sie erschien mit einem Schlüssel in der Pfote. Sie schloss den Schrank auf, und sie wurden geblendet von mehreren Dutzend Goldbarren.
Jetzt bestand nur noch das Problem, wie sie das viele Gold die steile Treppe hinaufbefördern könnten. Die Katze hatte schon eine Idee. Der Raum, in dem sie sich befanden, war nämlich ein alter Brunnenschacht. Das Seil und die beiden Eimer, die sie dazu benötigten, hatte die Katze schon bereitgestellt. Also zogen sie die Goldbarren in den beiden Eimern den Brunnenschacht hoch. Sie mussten den ganzen Vorgang siebenmal wiederholen.
Schwerbeladen durchquerten sie die Ruine hintereinander um diesen unheimlichen Ort wieder zu verlassen. So standen sie schon bald vor der Ruine im dunklen Wald und mussten sich voneinander verabschieden. Denn der Bauer wollte so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren, um die Esswaren zu überbringen und seine Schulden zu begleichen. Er bedankte sich bei der schwarzen Katze mit einem warmen Händedruck.
Kaum hatte er ihre Pfote berührt, fuhr ein Blitz aus ihren leuchtend grünen Augen und für einen Moment waren sie beide von Rauch umhüllt. Als sich dieser langsam auflöste, erhoben sich dort, wo vorher die Ruine stand, silberglänzende Türme eines wunderschönen Palastes. Erstaunt drehte er sich zu seiner Gefährtin um. Erst jetzt merkte er, dass er nicht mehr eine schwarze Katzenpfote in der Hand hielt, sondern die zarten Hände einer lieblichen Prinzessin.
Sie erklärte ihm, dass sie mitsamt ihrem Palast in diesen dunklen Wald verzaubert worden war, weil sie ihren Verlobten nicht heiraten wollte. Der Zauber konnte nur gebannt werden, wenn sich jemand mit der gruselig, kalten Herberge und den einfachen Esswaren begnügen würde. Endgültig aufgelöst sei der Zauber aber erst, wenn er sie seinem ältesten Sohn zur Frau gebe. Die Goldbarren solle er als ihre Mitgift betrachten. Der Bauer sagte dem hocherfreut zu, denn eine schönere, klugere und tüchtigere Schwiegertochter konnte er sich gar nicht wünschen. Die Prinzessin schnippte mit den Fingern und eine goldene Kutsche mitsamt Kutscher kam aus dem Palast. Der Bauer half der Prinzessin galant in die Kutsche, die bereits mit allem Nötigen beladen war.
So fuhren sie mit Glanz und Gloria vor seinem schäbigen Bauernhaus vor, das sich sogleich in eine riesige Villa mit vielen Dienern verwandelte. Die Bauersleute waren jetzt Barone und verwalteten den grössten Gutshof der Prinzessin. Auch die Baronin freute sich darauf, ihrem Sohne die Prinzessin zur Frau zu geben. Die Vorbereitungen für diesen grossen Tag wurden sogleich in Angriff genommen. Drei Tage später stieg im Palast mit den silbernen Türmen ein rauschendes Hochzeitsfest, wie es das ganze Königreich noch nie erlebt hatte. Sämtliche Untertanen waren erschienen, um die Befreiung der Prinzessin zu feiern und ihren Gemahl mit einem dreifachen Hoch zu ihrem neuen Herrscher zu erküren.
Die Prinzessin schenkte ihrem Gemahl sieben Kinder, die alle leuchtend grüne Augen hatten. Und wenn sie nicht gestorben sind, so leuchten sie noch heute armen Leuten den Weg zum ewigen Glück.